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Deus ex Cavum Nigrum

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Christopher Nolan stellt einen neuen Film vor, und die gesamte Welt juchzt. Kritiker wie Konsumenten überschlagen sich in ihrem Lob, in der IMDB hat der Film derzeit eine ausgezeichnete Bewertung von 9.1/10 bei beinahe 130.000 Stimmen. Intelligente Science Fiction, heißt es an der einen Stelle, an anderen wird bereits von einem modernen Klassiker gesprochen, der sogar seinem offenkundigen Vorbild von Kubrick den Rang ablaufen könnte. Diese Reaktion kommt für mich überraschend, insbesondere nachdem ich den Film vor Kurzem selbst gesehen hatte. Denn der Streifen ist eigentlich an Blödheit kaum zu überbieten, und das ist noch freundlich formuliert.

Achtung: dies wird ein Verriss. Und es wird massiv Spoiler geben. Wenn du, lieber Leser, selbst nach meinen einleitenden Worten noch Interesse daran haben solltest, den Film im Kino gegen Eintritt samt Überlängen-Zuschlag anzusehen, bitte ich dich inständig, jetzt sofort mit dem Lesen aufzuhören. Ehrlich, ich meine es ernst: nicht weiterlesen. Ich übernehme keine Verantwortung. Wenn du später weinend angelaufen kommst, ich hätte dir einen tollen Filmabend versaut, werde ich nur ein Nelson-Lachen für dich übrig haben. Wer dagegen den Film gar nicht oder frühestens im Fernsehen und dann idealerweise nach Konsum einer hinreichenden Menge alkoholischer Getränke ansehen wollte, aber trotzdem im Kollegen- oder Freundeskreis darüber schon jetzt lästern können möchte, darf gerne bleiben.

Also, worum geht es: die Welt ist (natürlich!) dem Untergang geweiht, und wir brauchen Astronauten, um sie zu retten. Wer jetzt an unterhaltsamen Trash mit Aerosmith-Musik und Bruce Willis denkt: Fehlanzeige. Wir befinden uns in einer nicht allzu weit entfernten, dafür aber umso bierernsteren Zukunft. Autonome Computer sind Stand der Technik, andererseits hat die Kraftfahrzeug-Technik anscheinend entweder 50 Jahre kompletten Stillstand hinter sich oder alle Fahrzeuge sind mindestens ein halbes Jahrhundert alt. Generell findet sich eigentlich im Alltag überhaupt kein Beispiel für Hochtechnologie; eine der Figuren tut sie in einem Nebensatz als ein Ding der Vergangenheit ab, ein Relikt aus einer Zeit, die zwar spannender, aber auf keinen Fall besser gewesen sei.

Aktuell kämpft die Menschheit also ums Überleben. Denn immer weitere Nutzpflanzen fallen sich ausbreitenden Parasiten zum Opfer, die Vegetation nimmt ab, der Sauerstoffgehalt sinkt. Staub und Sand sind allgegenwärtig, Sandstürme die Regel, Lungenkrankheiten breiten sich aus. Der Planet erstickt und verhungert gleichzeitig. Um die Menschheit zu retten, forscht die NASA im Geheimen an einem neuen Weltraumprogramm. Im Geheimen natürlich deshalb, weil in schlechten Zeiten der Bevölkerung Raumfahrt einfach nicht zu vermitteln sei.

Der Held des Films heißt Cooper (gespielt von Matthew McConaughey) und ist von Beruf eigentlich Ingenieur und Astronaut. Aufgrund der vorherrschenden Nahrungsknappheit betätigt sich Cooper aber aktuell als Bauer. Seine Frau ist tot, er zieht zwei Kinder alleinerziehend auf. Auf dem Hof wohnt zudem noch sein Schwiegervater Donald, mit dem er sich gelegentlich über alte Zeiten unterhält. Während Sohn Tom alle Anstalten macht, in Vaters Bauernhof-Fußstapfen zu treten, ist Tochter Murphy ein Wildfang, störrisch und eigensinnig, und natürlich: ein Genie.

Das versteht nur die örtliche Schule nicht, in der „Murph“ unter anderem deshalb einen Verweis erhält, weil sie Vaters alte Astronomie-Bücher mitbringt. In diesen Büchern fehlt leider die „Wahrheit“ über die Mondlandungen, und Murphs Weigerung, von der Realität der Landungen abzurücken, stößt beim Lehrpersonal auf wenig Gegenliebe. Dies ist übrigens eine der ganz wenigen Gelegenheiten, wo der Film so etwas wie Humor aufblitzen lässt; die Szene zwischen Vater Cooper (der ja immerhin selbst ehemaliger Astronaut ist) und Murphs Lehrerin kommt aber dermaßen ungelenk daher, dass man eher an ein Versehen des Regisseurs denkt als an Absicht.

Nachdem Cooper in Murphs Zimmer eine Gravitations-Anomalie in Form eines binären Strichcodes (sic!) entdeckt, diese dekodieren und in Koordinaten ganz in der Nähe umwandeln kann, fährt er los. Und landet: bei der NASA. Deren Chef ist ein alter Bekannter: Professor Brand. Dieser eröffnet Cooper, dass die Menschheit dem Untergang geweiht sei. Auch der Mais, die letzte noch mit Ertrag anbaufähige Nutzpflanze, falle in Kürze einem Parasiten zum Opfer, und im Unterschied zum Menschen habe der Mehltau mit wenig Sauerstoff und viel Stickstoff in der Atmosphäre kein Problem.

Es gebe übrigens viele der eigenartigen Gravitationsanomalien, man vermute eine außerirdische Intelligenz dahinter, die zudem ein Wurmloch neben dem Saturn geschaffen habe. Brand kommt schnell zur Sache: die NASA betreibt ein Arche-Noah-Projekt, man will die fremde Galaxie auf der anderen Seite des Wurmlochs kolonisieren, und Cooper soll das Raumschiff steuern.

Wie sich das für einen klassischen Heroen gehört, sagt Cooper natürlich nach reiflicher Überlegung zu, um seinem Nachwuchs das Überleben zu sichern. Murph ist nicht sonderlich erbaut, selbst die Gravitationsanomalie in ihrem Schlafzimmer morst tatsächlich „bleib!“, aber nichts kann seinen Abflug verhindern. Während Papa zu den Sternen aufbricht, nimmt derweil Professor Brand Murph unter seine Fittiche und bildet sie zur Astrophysikerin aus.

Die Astronauten, das sind die Tochter von Professor Brand mit dem bezeichnenden Namen Amelia (gespielt von einer komplett unterforderten Anne Hathaway), zwei weitere Kollegen und natürlich Cooper, fliegen derweil den ersten von drei Planeten an, die von vorherigen Teams erkundet wurden und von denen vielversprechende Funksprüche aufgefangen wurden. Direkt auf dem ersten Planeten, einer Wasserwelt mit riesigen Tsunamis, dezimiert sich die Raumfahrer-Schar um den ersten Kollegen, dessen Namen ich vergessen habe (nennen wir ihn einfach Rothemd Nummer 1).

Dieser Planet hat aufgrund der Nähe zu einem schwarzen Loch namens „Gargantua“ gegenüber dem restlichen Universum ein Zeitdifferential von ca. eins zu 60.000, will sagen: für jede Stunde auf dem Planeten vergehen anderswo 7 Jahre. Nach der Rückkehr von der Beinahe-Katastrophe ist der im Raumschiff (das zeitverzerrungstechnisch anscheinend quasi vor der Tür geparkt war) verbliebene Kollege entsprechend gealtert, man beschließt aber trotzdem, den nächsten Planeten anzufliegen.

Dort begegnet das Grüppchen dem Forscher Dr. Mann, gespielt von Matt Damon. Dieser verhält sich von Anfang an seltsam und versucht prompt, die Mission zu sabotieren. Dabei fliegt der zweite bedeutungslose Rothemd-Kollege von Amelia und Cooper in die Luft, das Raumschiff ist beinahe unrettbar verloren, und beinahe alles scheint aus. Bleibt nur noch, zum letzten Planeten aufzubrechen und „Plan B“ zu starten, womit eine Neu-Besiedlung aus eingefrorenen Eizellen mit Brutkästen gemeint ist.

Auf der Erde erfährt währenddessen die erwachsene Murph vom sterbenden Professor Brand, dass die gesamte Mission ein Schwindel ist und es von vorneherein auf „Plan B“ hinaus lief. Auch Cooper hatte er belogen, weil dieser sonst niemals gestartet wäre. Brand konnte ein Gravitationsproblem nicht lösen, was nötig wäre, um große Raumschiffe mit Siedlern von der Erde starten zu lassen. Für die Lösung bräuchte er jedoch Daten aus dem Bereich innerhalb des Ereignishorizonts eines schwarzen Lochs, und diese Daten sind natürlich unerreichbar. Murph ist wütend und schockiert und gibt abwechselnd Brand, Amelia und ihrem Vater die Schuld.

Nun ist das Raumschiff zum letzten Planeten gestartet, und natürlich opfert sich Cooper, weil Amelia es selbstverständlich sonst nicht schaffen würde, und fliegt zusammen mit dem intelligenten Roboter TARS mit einem treibstofflosen Shuttle in das schwarze Loch Gargantua hinein. Dort wird er aber nicht zerquetscht, sondern landet in einem Gebilde, das aus einem Escher-Bild stammen könnte: unendliche Reihen sich wiederholender Einblicke in Murphs Zimmer, zu unterschiedlichen Zeitpunkten. Und natürlich war die Anomalie dort in jenem Zimmer Cooper selbst, und natürlich hat er die NASA-Koordinaten und sogar das „bleib!“ an sich selbst geschickt. Nun morst (sic!) er mal eben kurz die notwendigen Messwerte, die der ebenfalls überlebende TARS natürlich ermittelt hat, per Gravitation an Murphy auf der Erde, diese löst damit mal eben das Gravitationsproblem und die Menschheit ist doch noch gerettet. Der Film endet mit der Begegnung zwischen dem jung gebliebenen Cooper und seiner greisen, im Sterben liegenden Tochter an Bord einer Raumstation neben dem Saturn, wo man ihn kurz vorher treibend aufgelesen hatte.

Ich muss um Entschuldigung bitten: die Zusammenfassung ist länger geraten als erhofft, aber passend für einen reichlich langatmigen Film. Wer bis hierher durchgehalten hat, versteht aber vielleicht auch so langsam mein Problem mit dem Film. Nicht nur, dass das Weltuntergangs-Szenario hirnrissig ist: es soll so schnell gehen, dass der Mittvierziger Cooper wegen der Lebensmittelkrise schon seit über 10 Jahren Bauer ist, aber vorher noch eine eigene Raumfahrer-Karriere starten konnte.

Dann gibt es die quaderförmigen, gestaltwandelnden und intelligenten Roboter (eine klare Anspielung auf die Monolithen in 2001), die alle Aufgaben von Gesprächspartner bis Pilot meistern, die aber nicht zu drahtloser Kommunikation in der Lage sind und das Raumschiff per Joystick steuern. Oder die Idee, dass man in den zeitverzerrenden Effekt eines schwarzen Lochs mal eben hinein und wieder hinausfliegen, das Mutterschiff also sozusagen unten an der Straße warten könne.

Generell gibt es anscheinend im Universum von Interstellar einen Relativistik-Schalter, mit dem man Zeitverzerrungen sehr selektiv ein- und ausschalten kann. Anders ist es nicht erklärbar, dass die Raumfahrer zwar natürlich von der extremen Zeitverzerrung auf Planet Nummer Eins wussten, aber den Intelligenzbestien vom Dienst total entging, dass die vorherige Expedition deshalb „lokal“ nur Stunden vorher angekommen sein würde. Und darum, dass ein Funksignal, wenn es um den Faktor 60.000 verzögert wird, gar nicht mehr auf der eigentlichen Frequenz und im normalen Tempo empfangbar ist, wurde sich natürlich auch herumgedrückt („Murmelmurmelwohleinsignalechogewesen“).

Über die physikalische Rosinenpickerei hätte man ja noch hinweg sehen können, wenn die Story nicht solch eklatante Schwächen gehabt hätte. Die Auflösung per Zeitschleife war spätestens dann klar, als eine ebensolche als absolut unmöglich bezeichnet wurde. Andererseits muss man den Nolan-Brüdern die Erfindung des Deus ex Cavum Nigrum zugute halten, des Gotts aus dem schwarzen Loch. Dieses Stilmittel ist wirklich bahnbrechend, übertrifft es doch in seiner Dreistigkeit sogar den Atomexplosionen abhaltenden Kühlschrank von Stephen Spielberg mit Leichtigkeit.


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