Nachdem wir uns vor kurzem schon einmal angesehen haben, was finnische Nachwuchsregisseure tun, wenn man ihnen Geld gibt, folgt nun der zweite Teil der neuen Reihe „Seltsames aus dem Norden“. Die Rede ist (natürlich) von „Hänsel und Gretel: Hexenjäger“. Nachdem sich bereits Abraham Lincoln als Vampirjänger versuchen durfte, ist ein Film über die erwachsen gewordenen Helden des deutschen Märchenklassikers natürlich durchaus naheliegend. Und der von Regisseur Tommy Wirkola servierte wilde Mix aus Fantasy- und Horrorfilm, aus Satire und Action-Streifen, funktioniert erstaunlicherweise sogar über weite Strecken.
Die erzählte Geschichte des Films, in Ermangelung eines passenderen Wortes, ist kaum der Rede wert: Hänsel und Gretel haben, da sie ja bereits in ihrer Kindheit Erfahrungen mit der fachgerechten Entsorgung von Hexen sammeln konnten, letzteres kurzerhand zu ihrem Beruf gemacht. Mit einem beeindruckenden Waffenarsenal ziehen sie gegen ihre magischen Gegnerinnen zu Felde und sind dabei nicht gerade zimperlich. Was aber durchaus angemessen ist, denn die gemeine Feldwaldundwiesenhexe ist ein ziemlich gemeines Geschöpf, das die Bewohner der Gegend um Augsburg gerade akut in großer Zahl heimsucht. Hexen böse, Hänsel und Gretel töten Hexen: mehr Geschichte gibt es nicht, mehr Geschichte braucht es nicht für einen leidlich unterhaltsamen Abend.
Ein amerikanisch produzierter Film über ein deutsches Märchen, und im Regiestuhl sitzt ein Finne: kann das gut gehen? Natürlich nicht, zumindest wenn man respektvollen Umgang mit dem Material erwartet, andererseits muss ein gewisses Maß an Respektlosigkeit nichts Schlechtes sein. Übrigens ist der Film bei genauerem Blick recht europäisch: gedreht wurde zwar nicht gerade in Augsburg, aber tatsächlich in Deutschland, und zwar in den Babelsberger Studios bei Potsdam. Immerhin einige Nebenrollen sind sogar mit deutschen Schauspielern besetzt, wenngleich die Titelrollen natürlich Hollywood-kompatibel von einem Amerikaner und einer Britin gespielt werden. Für deutsche Ohren, die des Englischen mächtig sind, sei übrigens die Originaltonspur dringend empfohlen: es ist urkomisch, wenn Gemma Arterton ihre irgendwo zwischen Bruce Willis und Bruce Campbell angesiedelte Heldin (in einer Szene, die aus „Stirb Langsam“ geklaut sein könnte), in britischem Akzent und sinngemäß mit „Ich bin Margaretchen, und das ist mein Bruder Hänschen“ vorstellt. Wahrscheinlich sind sowohl finnischen als auch amerikanischen Ohren die Verniedlichungsformen „Hänsel“ und „Gretel“ unbekannt, für den deutschen Zuschauer ist die Szene der erste große Gag des Films.
Generell nimmt sich „Hänsel und Gretel“ nicht völlig ernst, und das ist auch dringend notwendig. Die Hexen sehen aus, als seien sie aus einem Film von Sam Raimi entlaufen, andere Geschöpfe erinnern dagegen eher an eine Hanson-Produktion wie das „Labyrinth“. Halb erwartet man also ständig, wahlweise Bruce Campbell oder David Bowie um die Ecke kommen zu sehen. Es wimmelt zudem von Anachronismen (wenn man davon ausgehen will, dass der Film ungefähr im ausgehenden 17. Jahrhundert spielt): die Optik von Augsburg erinnert zwar an die Zeit des dreißigjährigen Krieges, das Waffenarsenal von Hänsel und Gretel (inklusive automatischer Gewehre und Elektrowaffen) gibt dem Ganzen allerdings einen deutlichen Hauch von Steampunk. Hänsel ist außerdem seit seiner Begegnung mit der ursprünglichen Knusperhaus-Hexe Diabetiker und braucht regelmäßige Insulin-Injektionen (sic!), was natürlich einen weiteren Anachronismus darstellt. Die Filmwelt, die Tommy Wirkola erschafft, ist auf ihre Art zumindest stellenweise nicht weniger skurill als die von „Iron Sky“, und einem Film über Hexenjäger mangelnden Realismus vorzuwerfen, ergäbe natürlich sowieso nicht wirklich viel Sinn.
Wirkolas Werk geizt außerdem nicht unbedingt mit Splatter-Effekten. Einige Szenen sind relativ drastich und wohl nichts für Zuschauer mit allzu schwachen Mägen, wer also einen reinen Action-Streifen erwartet, sei vorgewarnt: die 16er Freigabe für die deutsche Fassung ist eher konservativ gewählt. Besonders heftig ist der Extended Cut, der allerdings nicht in die Kinos kam und wohl nur als Extra auf der Bluray-Veröffentlichung verfügbar sein wird. Der Film pendelt beständig zwischen Fantasy-Action und Horror, mit gelegentlichen Anflügen von teils recht schwarzem Humor. Das Ergebnis zeigt vielversprechende Ansätze einer Satire, kann sich aber leider nicht ganz entscheiden, was es nun sein will, was etwas schade ist. Wenn man den Streifen als reine Unterhaltung ohne großen Anspruch ans Niveau akzeptiert, wird man großteils trotzdem ganz gut unterhalten. Ich empfehle sicherheitshalber einen Kasten Bier kaltzustellen; Alkohol kann beim Konsum definitiv nicht schaden.
Der eine Punkt, der mir dann doch recht sauer aufgestoßen ist, ist leider ein zentrales Motiv des Films, das im Prinzip direkt aus dem „Malleus“ gefallen zu sein scheint: Hexen sind nämlich erstens praktisch immer böse (es gib zwar ein paar „weiße“ Hexen im Film, die könnte aber selbst ein langjähriger Sägewerks-Arbeiter an einer Hand abzählen) und zweitens exklusiv weiblich: Männer betreiben also keine dunklen Künste. Die Hexerei als Symbol typisch weiblicher Verderbtheit ist aber ein sehr altes und zutiefst sexistisches Denkmuster, das gerade in mir als Bewohner des Landstrichs unangenehme Assoziationen weckt, in dem nicht nur Kants Kritik der reinen Vernunft, sondern vorher eben auch der Hexenhammer entstand. Dass Wirkola sich ausgerechnet in diesem Punkt sklavisch an die vorherrschende Mythologie des 15.-17. Jahrhunderts hält, will nicht recht einleuchten und gibt definitiv Punktabzug. Was unter dem Strich trotzdem bleibt, ist ein recht amüsanter Film mit einigen Schwächen, der die anderen Versuche der jüngeren Zeit, deutsche Sagen für die große Leinwand auszuschlachten (ich sage nur „Schneewittchen“), mit Leichtigkeit in den Schatten stellt.