Im zweiten Teil der Artikel-Reihe geht es wie angekündigt um das 2012er Remake von „Total Recall“. Es gilt dieselbe Warnung wie vorher: wer den Film noch nicht gesehen hat, dies aber noch tun will, hat jetzt noch Gelegenheit, sofort mit dem Lesen aufzuhören. Spoilers ahead.
Total Recall 2012 ist ein Remake eines, naja, nennen wir es nicht „Klassiker“, aber eines recht bekannten Schwarzenegger-Streifens aus dem Jahr 1990. Beide Verfilmungen orientieren sich damit überaus lose an einer Kurzgeschichte von Philip K. Dick, der wohl einer der meistmissbrauchten Autoren für SciFi-Verfilmungen der Geschichte sein dürfte. Während aber die erste Verfilmung mit ihrer mangelnden Logik und wirren Geschichte noch kokettierte und den gesamten Schmu mit einer gehörigen Portion Humor präsentierte, fehlt insbesondere letzterer in der Neuverfilmung beinahe komplett. Und das ist nicht positiv.
In der 2012er Version ist das Mars-Thema komplett verschwunden. Hatte der Held Douglas Quaid bei Verhoeven noch Träume vom Mars, die ihn letztlich zu einem Besuch bei der Firma „REKALL“ führten, ist dieses Thema wie gesagt in der 2012er Version nicht mehr vorhanden. Warum genau Quaid also unbedingt künstliche Erinnerungen kaufen will, wird nicht so ganz klar. Den Rest kennen wir von 1990: die Implantation geht schief, Chaos bricht aus, Quaid erschießt ganz viele Menschen und wird daraufhin prompt von seiner Frau Lori angegriffen. Noch mehr Chaos ist die Folge.
Auf der Plusseite hat der 2012er Film einen echten Schauspieler als Hauptdarsteller, der auch der englischen Sprache vollständig mächtig ist. Auf der Minusseite nimmt sich die neue Version wie gesagt viel ernster als die alte und ist damit stellenweise unfreiwillig komisch, insbesondere bei Action-Sequenzen, die grundsätzlich nach dem Motto „viel hilft viel“ inszeniert sind.
Kommen wir also zu den Löchern in der Geschichte, allen voran: die Physik. Die Erde ist verseucht, nur Großbritannien (Verzeihung, die Vereinte Föderation von Britannien) und Australien („Die Kolonie“) sind bewohnbar. Der Rest ist durch den Einsatz von Chemiewaffen unbewohnbar geworden, so dass sich in den letzten beiden bewohnbaren Flecken die Menschen buchstäblich stapeln.
Arbeiter pendeln zwischen den beiden Orten mit Hilfe eines außergewöhnlichen Transportmittels, nämlich eines Schwerkraft-Fahrstuhls, im Film „The Fall“ genannt. Australien und Europa sind nämlich beinahe exakt Antipoden, man könnte also theoretisch von Großbritannien aus ein Loch fast genau durch den Erdkern bohren und in Australien oder Neuseeland ankommen. Das Dumme dabei ist natürlich, dass die Erde im Inneren nicht fest ist, sondern im Gegenteil heiß und flüssig, wie jeder Bewohner einer vulkanisch aktiven Region des Planeten bestätigen kann.
Mit anderen Worten: „The Fall“ hätte ein paar kleinere praktische Probleme, die bei flüssigem Gestein mit Temperaturen um die 5700 Kelvin und Drücken im Bereich einiger Millionen Atmosphären im Erdkern nicht beginnen und bei Kleinigkeiten wie gigantischen Reibungsverlusten nicht aufhören. Dann behauptet der Film, die Reise dauere „etwa 17 Minuten“, was dem Ganzen die Krone aufsetzt, wie wir gleich sehen werden.
Denn das Konzept eines solchen „Gravity Train“ ist nicht neu und eine beliebte Übungsaufgabe für angehende Physiker. Wenn man Dinge wie Erdrotation und Reibung komplett außen vor lässt, kommt man auf eine Pendeldauer des Aufzugs von guten 5000 Sekunden, will sagen, die Reise von Australien nach Großbritannien würde etwas mehr als 2500 Sekunden brauchen, oder gute 42 Minuten. Um 17 Minuten zu erreichen, müsste der Aufzug also mehr als doppelt so schnell beschleunigen und abbremsen wie durch die reine Erdanziehung, was wiederum heißt, dass die im Film gezeigten Gravitationsverhältnisse im Aufzug genau verkehrt herum sind: die Passagiere würden auf beiden Hälften des Wegs jeweils nach „oben“ gedrückt, nicht nach unten, was durch die ständigen Gravitationswechsel zumindest gelegentlich einige interessante Auswirkungen auf Mageninhalte von Passagieren haben dürfte. Außerdem wird bei diesen Beschleunigungen die Coriolis-Kraft signifikant, was definitiv Probleme mit dem Mageninhalt von Passagieren nach sich ziehen müsste.
Die anderen praktischen Problemchen von „The Fall“ sind da beinahe geschenkt: um zum Beispiel die Luftreibung auszuschalten, müsste im gesamten beinahe 13000 Kilometer langen Tunnel komplettes Vakuum herrschen, und derzeit ist außerdem kein Material bekannt, das sich bei 5700 Kelvin und den im Erdkern herrschenden riesigen Überdrücken nicht in Sekundenbruchteilen auflösen würde (aber das halt ist der fiktionale Teil von Science Fiction).
Mit der Frage aber, warum die Menschheit überhaupt einen Tunnel quer durch die Erde graben sollte, wenn vermutlich die Besiedlung des Mondes oder des Mars im Vergleich sogar einfacher wäre, damit wird der Zuschauer allein gelassen. Oder warum sie nicht einfach Hochgeschwindigkeitszüge auf der Erdoberfläche fahren lassen oder Flugzeuge benutzen. Denn die Atmosphäre ist zwar giftig, aber ein Hochgeschwindigkeitsflug hindurch wäre ein kleineres technisches Problem als ein Aufzug quer durch die Erde.
Andere Löcher in der Logik des Films passen natürlich ins Bild.
- Dass man Mobiltelefone orten kann (und seien sie in die Hand implantiert), muss dem Helden tatsächlich erst gesagt werden.
- Anrufer sind aber anscheinend nicht zu verfolgen, sonst bliebe der Komplize, der Quaid am Anfang des Films telefonisch warnt, nicht trotz Überwachung von Quaids Telefon bis kurz vor dem Ende des Films unbehelligt.
- Das Apartement der „Hauser“-Persönlichkeit von Quaid ist natürlich unbewacht, damit er dorthin die verletzte Jessica Biel bringen kann. (Entweder sind die Verfolger also ziemlich hirntot oder es ist Absicht, aber Quaid muss definitiv mental verstorben sein, dort keine Falle zu vermuten.)
- Die Roboter-Polizisten im Film sind beeindruckend schnell und fast unzerstörbar, aber wirklich bemerkenswert schlechte Schützen.
- Ein Luft-Austausch zwischen Großbritannien bzw. Australien und dem Rest des Planeten findet anscheinend nicht statt. (Oder wenn sie das Gift aus der Luft filtern können, wieso tun sie das nicht einfach in einem größeren Areal, wenn doch der Lebensraum so knapp ist?)
- Überhaupt scheint das unglaublich tödliche Gas außerhalb der beiden bewohnbaren Zonen nicht einmal Hautreizungen zu verursachen, weshalb im verseuchten Gebiet eine einfache, popelige Gasmaske ausreicht.
- Man kann auf einem Geschoss außen herumlaufen, das sich gerade quer durch die Erde mit Geschwindigkeiten deutlich oberhalb der Schallgeschwindigkeit bewegt. Abgesehen von Luftwiderstand und -verwirbelungen: der Fahrstuhl muss ja stärker abbremsen als die Erdbeschleunigung (s.o.). Quaid und die anderen würden also einfach dem Fahrstuhl voran in Richtung Erdoberfläche stürzen und dort dann mit mehrfacher Schallgeschwindigkeit aus dem Loch geschossen kommen. (Oder eher vorher durch die Coriolis-Kraft in die Tunnelwand krachen, aber ich finde die erste Variante viel schöner, bitte garniert mit einem schönen „Fump“-Soundeffekt.)
- Hauser ist angeblich ein legendärer Agent der Regierung. Alle anderen Agenten kennen ihn zwar eigentlich, aber müssen trotzdem vorher gesagt bekommen, wer er ist? Aha.
- Warum lässt sich Hauser überhaupt in Quaid umprogrammieren, wenn er vorher schon die Widerstandsbewegung von seiner Aufrichtigkeit überzeugt hatte? Dafür, dass er versteckte Informationen im Kopf habe und die Hilfe des Rebellenführers Matthias brauche, um sich an sie zu erinnern, hätte es die Quaid-Persönlichkeit gar nicht benötigt, denn Melina glaubte Hauser ja vorher schon.
Und das waren nur die größeren Löcher, es gibt einige weitere. Fazit: zwischen „Looper“ und dem Remake von „Total Recall“ tobte ein heißer Kampf um Platz eins auf meiner persönlichen Hitliste der Filme, die ernsthafte Gehirnschmerzen verursachen. Aufgrund der noch schlimmeren Logik gewinnt wohl Looper, aber es ist eine knappe Entscheidung.