Es gibt wohl bestimmte Dauerthemen, die filmisch immer wieder aufgegriffen werden, mal mit mehr und mal mit weniger Erfolg. Der Nationalsozialismus und das „dritte Reich“ gehören wohl sicherlich dazu. Die meisten Regisseure nähern sich dem Thema mit (teilweise übertriebenem) Ernst und Respekt, um ja in keine Fettnäpfe zu treten. „Respekt“ ist allerdings für den Regisseur der aktuellen filmischen Inkarnation „Inglourious Basterds“ schon immer ein Fremdwort gewesen. Und das ist ein Segen.
Nachdem nach längerer Suche mit dem 'Casablanca' ein Kino gefunden war, das die „Basterds“ in Originalfassung zeigte, fanden wir uns gestern abend also zu sechst im Bochumer Bermudadreieck wieder. Leider waren wir nicht die einzigen Besucher, die gerne die unsynchronisierte Fassung sehen wollten, und so reichte die Schlange bereits weit in die Fußgängerzone hinein. Wir hatten Glück und bekamen als vorletzte Gruppe noch Karten. Der kleine Vorführungssaal des Casablanca war denn auch dermaßen brechend voll wie man es selten erlebt, und an zusammenhängende Sitze war absolut nicht zu denken.
Ich muß sagen, daß sich die Entscheidung für das Original trotz verschwitzter Kuschelatmosphäre im Kino definitiv gelohnt hat. Die „Basterds“ sollte man nach Möglichkeit wirklich nicht synchronisiert schauen, denn der Film bekommt gerade durch die konsequent durchgezogene Mehrsprachigkeit (vor allem Englisch und Deutsch, stellenweise Französisch und ein paar Brocken Italienisch) ein ganz eigenes Flair und eine Energie, die in der Synchronisation definitiv verloren geht. Außerdem gibt der extrem breite Südstaatenakzent („You prolly heard we ain't in the prisoner-takin' business. We in the killin' Nazi business. And cousin, business is a-boomin'!“) zusammen mit dem lächerlichen Oberlippenbart der Hillbillie-Figur von Pitt eine ganz eigene Note.
Die Geschichte des Films ist schnell umrissen: es geht um eine Einheit jüdisch-amerikanischer Soldaten, die grausam Rache nehmen an deutschen Militärs, die gegnerische Soldaten mit Baseball-Schlägern totprügeln, ihnen die Kehlen durchschneiden, sie verstümmeln und skalpieren und sich zuletzt aufmachen, die versammelte Führungsriege des dritten Reiches zu massakrieren. Es geht neben den Basterds auch um ein jüdisches Mädchen, das das Massaker an ihrer Familie als Einziges überlebt, sich unter falschem Namen nach Paris rettet, später aber von seiner Vergangenheit gleichsam eingeholt wird. Der Film ist eine respektlose Rachephantasie, eine „was wäre wenn“-Geschichte, die passenderweise denn auch mit den einleitenden Worten „es war einmal“ beginnt. Der Film ist also ein Märchen, und ein ziemlich grausames noch dazu. Hier wird nicht einfach gestorben. Hier wird verreckt, und zwar mitunter auf die absurdest denkbare Art und Weise. Inklusive mexikanischem Klöten-Standoff nach einer Runde „wer bin ich“ in einer Kellerkneipe.
Wer übrigens meint, daß Pitt die Hauptrolle in dem Film spiele, liegt ziemlich daneben. Die gesamten Basterds sind kaum mehr als Nebendarsteller, die der absoluten Glanzleistung von Christoph Waltz wenig bis überhaupt nichts entgegenzusetzen haben. Das heißt nicht, daß die schauspielerische Leistung insgesamt schlecht ist, im Gegenteil: das bewußt aufgesetzt wirkende Redneck-Grinsen des „Aldo Raine“ wird von Pitt mit der zugehörigen Portion Lässigkeit und Spaß herübergebracht, und auch Diane Kruger, Daniel Brühl, Eli Roth und insbesondere Mélanie Laurent liefern solide bis brillante schauspielerische Leistungen ab. Trotzdem bewegt sich Christoph Waltz in einer ganz eigenen Sphäre: selten war ein Bösewicht derartig furchteinflößend, hochintelligent und doch wiederum stellenweise von derart geradezu absurder Komik gekennzeichnet wie hier. Wenn irgendeine Leistung für diesen Film einen Oscar verdient hat, dann ist es definitiv das schauspielerische Genie von Christoph Waltz.
Ganz allgemein ist der Film auch eigentlich kein amerikanischer, trotz des amerikanischen Regisseurs und Brad Pitt als Anführer der „Basterds“. Große Teile wurden in Deutschland und Österreich produziert, der Großteil der Besetzung ist deutschsprachig, und der Film wurde massiv mit deutschen Mitteln gefördert. Rund drei Viertel der Handlung laufen in deutscher Sprache ab, und alle deutschen Rollen sind mit deutschen oder österreichischen Schauspielern besetzt. Wer aus anderen Produktionen Amerikaner gewohnt ist, die versuchen, so zu tun, als könnten sie vorgeben, deutsch zu sprechen, wird angenehm überrascht. Im Gegenteil wird sogar die einzige Figur, die mit hörbarem Akzent spricht, prompt als englischer Agent enttarnt, und die Agentin Fräulein von Hammersmark regt sich an anderer Stelle über die mangelhaften Sprachkenntnisse der amerikanischen „Basterds“ auf. Eine weitere sehr starke Figur ist wiederum europäisch: die französische Jüdin Shosanna Dreyfus ist es letztlich, die der Rache an den Mördern des dritten Reiches ein Gesicht gibt. Die Liebe zum Detail ist erfrischend und einzigartig, und eine der großen Leistungen Tarantinos bei der Produktion.
Handwerklich erscheint der Film zunächst widersprüchlich. Szenen großer Langsamkeit und Stille werden unterbrochen durch kurze Momente großer Gewalt, die vorher langsam und beinahe unmerklich vorbereitet wurden. Mal wird Gewalt genüßlich zelebriert bis hin zur Ekelgrenze, und mal stirbt einfach so innerhalb von wenigen Sekunden ein knappes Dutzend Personen. Tarantino spielt mit den Erwartungen des Publikums, nur um sie ständig und immer wieder zu enttäuschen. Hier offenbart sich einmal mehr das Genie dieses enfant terrible der Filmkunst, und hier liegt der Charme vieler seiner Werke.
Wer also einen schnellen Actionfilm erwartet, wird definitiv enttäuscht das Kino verlassen (so bemängelt zum Beispiel Lars-Olav Beier im Spiegel denn auch vor allem Langatmigkeit und mangelndes Tempo). Aber eigentlich war Quentin Tarantino nie ein simpler Action-Regisseur, was er zuletzt auch zum Beispiel im zweiten Teil von „Kill Bill“ gezeigt hat. Die „Basterds“ sind denn auch alles, nur kein Actionfilm. Vielmehr handelt es sich um eine Achterbahnfahrt der Emotionen, um eine Nummernrevue der Absurditäten, die den Werken der Coen-Büder letztlich näher steht als Jerry Bruckheimer. Der Titel ist Programm, denn der Film ist selbst ein Bastard, eine Mischung unterschiedlichster Einflüsse. Wer sich darauf einläßt, den erwartet große Unterhaltung, wie zum Beispiel auch Claudius Seidl von der „Frankfurter Allgemeinen“ feststellt. Wer mit allzu gefestigten Erwartungen und Vorurteilen ins Lichtspielhaus geht, für den wird das Erlebnis allerdings wohl eher frustrierend sein.